Aber die Patienten sind nicht alleine, sie haben ihre Angehörigen, und von denen redet im Normalfall keiner.

Wie sie sich denken können, bin ich auch eine Angehörige, mein Name ist Michèle Müller und meine Mutti ist an Uveitis erkrankt.

Seit 30 Jahren lebt unsere Familie jetzt mit dieser, in meinen Augen heimtückischen, Krankheit und es war bzw. ist nicht immer leicht mit ihr zu leben.

Ja, ich behaupte dass auch ich mit dieser Krankheit leben musste und noch immer muss. Und wenn ich sage es war nicht immer leicht für mich, dann übertreibe ich nicht.

Ich werde auch nie vergessen, wie ich mich gefühlt habe, als meine Mutti das erste Mal eine Regenbogenhautentzündung hatte. Sie hat sich im Schlafzimmer verkrochen, alle Vorhänge geschlossen und wollte keinen von uns sehen, jeder der es gewagt hat ins Schlafzimmer zu gehen, wurde angemault. Mir war an dem Tag so schlecht, es ging mir richtig elend, und niemand war da, mit dem ich reden konnte. Weil die Person, der ich sonst alles anvertraute, war ja selbst der Auslöser meiner Sorgen und konnte sich nicht um mich kümmern.

Danach die Schübe, waren nicht mehr ganz so beängstigend und verwirrend, obwohl sie für meine Begriffe noch schlimm genug waren und sind.

Wenn ich früher nachts wach gelegen bin, hatte ich oft Angst, dass meine Mutti erblindet. Oft wurde mir das ganze dann zuviel und ich habe geweint, ich hab mich nicht getraut diese Ängste offen auszusprechen, aus Angst davor sie könnten dadurch Realität werden.

Heute weiß ich, das es besser gewesen wäre darüber zu sprechen, denn ich persönlich finde es unendlich wichtig, miteinander zu reden und was fast noch wichtiger ist, einander zuzuhören, dann ist die ganze Krankheit für alle halb so schlimm.

Wir haben gelernt miteinander zu reden, und uns zuzuhören, und jetzt mache ich mir darüber nicht mehr so viele Gedanken die mir gleich den Schlaf rauben.

 

Ich muss zugeben, anfangs habe ich mich sogar geschämt für und mit meiner Mutti, ich wollte nicht mit ihr gesehen werden.

Sie müssen sich vorstellen, ich war 15 Jahre als meine Mutti erfahren hat das sie an Uveitis leidet und „damals“ war ich voll in der Pubertät, da schämt man sich sowieso schon für alles und jeden, und dann hat man eine Mutti die immer mit ner Basecape rumläuft, ständig eine Sonnenbrille trägt, auch wenn die Sonne nur zu erahnen ist oder schlimmer es neblig ist.

Klar, es gab den ein oder anderen in meinem Freundeskreis, der es cool fand das meine Mutti mit ner Basecape rumläuft, aber es war kein wirklicher Trost für mich.

Der ein oder andere hatte auch den verdacht geäußert, ob mein Vater meine Mutti schlägt, oder andere dubiose Äußerungen warum und wieso sie ein rotes Auge hat und ständig eine Sonnenbrille trägt.

Mit den Jahren wurde es mir aber gleichgültig, was die anderen Leute von ihr halten, und hinter vorgehaltener Hand alles von sich geben. Es ist doch so, das meiste davon ist purer Müll und man erkennt, das die Leute null Ahnung haben. Ich hingegen kenne mich mittlerweile etwas aus und finde es gut, es gibt mir die Kraft, die Blicke und Kommentare der Unwissenden zu ignorieren.

 

Es ist nicht leicht mit der Krankheit zu leben, und es ist nicht leicht mit einem Patienten zu leben, der an Uveitis erkrankt ist, diese Behauptung begründe ich jetzt einfach mit meinen eigenen Erfahrungen mit meiner Mutti.

Hört sich jetzt vielleicht etwas hart an, aber die Worte geben diesem Satz einfach die Härte, ich versuche es jetzt einfach etwas zu entschärfen, und denke Sie werden dann verstehen, was ich meine.

Während eines Schubes ist meine Mama leicht gereizt und neigt dann und wann auch dazu unfair zu sein, eine ganze Weile sehe ich mir das Ganze an und denke mir meinen Teil, aber wenn ich merke sie versinkt jetzt im Selbstmitleid wird es mir zu bunt ich erlaube mir, dass ich ihr den so genannten „Kopf wasche“.

Wir sind dann beide nicht unbedingt nett zu einander, aber später, wenn wir wieder zivilisiert miteinander reden, ist ihre reizende Stimmung vorüber und vor allem, was mir auch viel wichtiger, ihr Selbstmitleid ist wie weggeblasen. Wenn ich alles leiden kann, nur nicht, wenn dritte meinen sie müssen meine Mutti und auch die Familie mit Mitleid überschütten.

Wir brauchen kein Mitleid, das einzig Richtige ist Mitgefühl, aber die wenigsten bringen es fertig, einfach nur Mitgefühl zu zeigen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele die jetzt nicht direkt betroffen sind, so eine Art Weltuntergangsstimmung an den Tag legen, ein gutes Beispiel ist meine Schwiegermutter. Sie hat mit meiner Mutti und ihrer Krankheit so gut wie nichts zu tun, aber so oft wo sie mir dann erzählen will, dass das ja so schlimm ist und schrecklich und sie kann ja nicht mehr selbst Autofahren usw. und so fort. Doch sie tröstet mich nicht damit, ich denke zumindest immer, dass das ihre Absicht ist, nein sie macht mich regelrecht wütend. Und seien wir ehrlich, wie viele Ehefrauen, meine Schwiegermutter eingeschlossen, sitzen grundsätzlich daneben wenn der Mann fährt und die haben nicht alle ein Uveitis-Problem. Sie bringt aber nicht den Mut auf, meine Mutti direkt darauf anzusprechen, es ist Tabu mit der Betroffenen Person zu reden, die Krankheit könnte ansteckend sein. Lieber belästigt sie mich, ich bin ja nur die Tochter. Und solche Erfahrungen habe ich schon öfter gemacht, da heißt es nach einem Gespräch über meine Mutti und ihre „Augengeschichte“ gleich: “Sag aber nichts.“ Und soll ich Ihnen was sagen, klar sage ich es ihr, sie soll wissen was die Leute über sie denken und reden.

Wissen Sie, wir hatten seit 1992 eine Menge Zeit über die Krankheit zu reden, nachzudenken, sie zu akzeptieren und leben seither im Großen und Ganzen ganz gut mit ihr.

Wenn ich so darüber nachdenke, sind es eigentlich nur „Kleinigkeiten“ mit denen wir versuchen die Uveitis in unser Leben zu integrieren. Es fällt mir nicht mehr auf, ich muss schon sehr angestrengt überlegen, worum es sich dabei handelt.

  • Ist es draußen zu hell, schließen wir die Vorhänge, und schon muss Mutti die Augen nicht mehr zusammen kneifen.
  • Merke ich während einer Unterhaltung, dass sie gegen das Licht schaut, wodurch sie mich nur noch schemenhaft erkennt, versuche ich mich umzusetzen. Ist dies aus welchen Gründen auch immer nicht möglich, gebe ich wirklich Antwort und unterlasse es einfach mit Kopfschütteln oder –nicken zu reagieren.
  • Im Kino, Film mit Untertitel, ab und an passiert das schon mal, dann lese ich den Text vor, und die Kommentare der anderen Besucher ignorieren wir dann beide ganz gekonnt.
  • Sind wir im Dunkeln gemeinsam unterwegs, biete ich ihr automatisch meinen Arm an und mach sie auf Stufen und etwaige andere Hindernisse aufmerksam.
  • Ohne Sonnenbrille und Schirmmütze kenne ich sie gar nicht mehr.
  • Ist etwas zu klein geschrieben, benützt Mutti eine Lupe oder ich lese es ihr vor.
  • Kann sie wegen einem akuten Schub wieder einmal nicht selbst Auto fahren, fahre ich sie hin, ab und zu verschiebt sich dadurch mein Termin- und Zeitplan, aber das macht mir nichts aus. Ich mache es gern und das weiß meine Mutti, ich denke ansonsten würde sie das Angebot nicht annehmen.
  • Einen Faden einfädeln, ist für mich keine große Sache, für Sie schon.

Nur wenn ich merke, jetzt möchte sie keine Hilfe, dann lass ich sie auch. Ich denke es ist für uns alle sehr wichtig, dass sie sich nicht bemitleidet und hilfsbedürftig vorkommt. Also, wenn sie meint, sie muss etwas alleine erledigen, dann soll sie es tun, egal wie lange es dauert, oder wie oft sie einen neuen Versuch starten muss.

Alles in allem sind es wirklich nur Kleinigkeiten, aber die Dinge, die ich für sie tun kann, geben mir das Gefühl, nicht ganz nutzlos zu sein und trotzdem nicht zu aufdringlich.

Es gibt heute noch Situationen, die mir neu sind und die ich im ersten Augenblick nicht mit Uveitis in Verbindung bringe, dass wird aber immer so bleiben und damit habe ich mich abgefunden.

Mit den Jahren habe ich auf jeden Fall begriffen, wie wertvoll das eigene Augenlicht ist und bin froh, dass meine Augen soweit in Ordnung sind. Obwohl ich zu meiner Schande gestehen muss, das ich manchmal zu eitel bin meine Brille zu tragen.

 

Man hört oft den Spruch: “Das hat meine Leben verändert.“

Ich gebe zu, ich benutzte ihn auch schon, die Krankheiten meiner Eltern haben mein Leben in so fern verändert, als das ich bewusster Lebe, intensiver Genieße.

Ich versuche nach dem Motto zu leben: „Man lebt nur einmal.“ Möchte aber dadurch nicht zum Luftikus werden, diese Kombination ist nicht immer leicht, aber sie lohnt sich gelebt zu werden. In diesem Sinne einen schönen Tag noch und seien sie nicht zu streng mit Ihren Angehörigen, sie leiden mit uns.

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